von Rechtsanwalt Henning Gralle aus der NWZ 20.01.2015

140px-NWZ-Logo

Der Bundesgerichtshof hat im Unterhaltsrecht hat seine Linie fortgesetzt und deutlich gemacht, dass Vater und Mutter ab dem dritten Lebensjahr des Kindes vollschichtig arbeiten müssen. Es gilt aber die Ausnahme, dass wegen der Betreuung des Kindes nur eine eingeschränkte berufliche Tätigkeit angemessen ist. Wie viel Stunden ein Elternteil in der Woche neben der Betreuung der Kinder arbeiten muss, hängt vom Einzelfall ab. Eine pauschale Betrachtung ist nicht mehr zulässig.

Auf folgende Faktoren kommt es an:

  • das Alter des Kindes
  • die Anzahl der Kinder
  • bestehende Möglichkeiten der Kindesbetreuung (Ganztagsschule/Kindergarten)
  • Belange des Kindes (Krankheit, schulische Leistungen, Freizeitgestaltung wie Sport oder Musikunterricht)
  • Rollenverteilung zwischen den Eltern in der Ehe
  • hat das Kind die Trennung der Eltern nicht bewältigt?
  • Sind bei den Eltern Besonderheiten bei der Berufsausübung ersichtlich, zum Beispiel Schichtarbeit

Die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg sind in diesem Bereich oberflächlich, andere Leitlinien werden konkreter und erwähnen den Gesichtspunkt der gerechten Lastenverteilung sowie den Aspekt der überobligatorischen Belastung durch die Notwendigkeit der Vereinbarung von Berufstätigkeit und Kindesbetreuung, so zum Beispiel das Oberlandesgericht Schleswig.

Beispielhaft folgende Entscheidungen: das OLG Saarbrücken (Aktenzeichen 6 UF 24/13) hat die Mutter eines vierjährigen Kindes verpflichtet, einer ¾-Tätigkeit, also einer 30 Stundenwoche neben der Betreuung des Kindes nachzugehen. Der Kindergarten bietet eine durchgehende Betreuung von 7:00 Uhr bis 17:00 Uhr.

Das OLG Hamm (Aktenzeichen 3 UF 244/13) hat eine Friseurin auf dem Lande neben der Betreuung ihrer siebenjährigen Tochter verpflichtet, 30 Stunden in der Woche zu arbeiten. Die Ganztagsbetreuung in der Schule ermögliche grundsätzlich eine vollschichtige Tätigkeit, da die Kindesmutter jedoch mit dem Kind im ländlichen Raum in einem kleinen Ort wohne, müssten erhebliche Fahrstrecken und Fahrtzeiten zu Grunde gelegt werden, so das neben der wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden ein Betreuungsaufwand für die Tochter von 10 Stunden erforderlich sei, so das ein Ergebnis von deutlich mehr als 40 Wochenstunden erreicht werde.

Besteht am Wohnort keine Ganztagsbetreuung in Schule oder Kindergarten und sind Öffnungszeiten nur zwischen 8:00 Uhr und 12:00 Uhr gegeben, so kommt möglicherweise für den betreuenden Elternteil – meist die Mutter – nur eine tägliche Arbeitszeit von 3 Stunden und damit einer 15 Stunden Arbeitswoche in Betracht. Um den eigenen Bedarf zu decken kommt dann die Geltendmachung von Unterhalt gegenüber dem Ehepartner in Betracht.

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de. Weitere Infos: www.fachanwaelte-ol.de

nwz-2015-1