von Rechtsanwalt Henning Gralle aus der NWZ 15.10.2013

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Bei vielen Eheleuten besteht Unsicherheit, wie lange und in welcher Höhe Unterhalt nach der Scheidung zu zahlen ist. Der alte Grundsatz „Einmal Chefarztfrau – immer Chefarztfrau“ gilt nicht mehr, dennoch bestehen weiterhin Rechte des finanziell schwächeren Ehepartners auf Zahlung einer Unterhaltsrente. Wie viel und wie lange der finanziell besser gestellte Ehepartner (meistens der Ehemann) Unterhalt zahlen muss, hängt von drei wesentlichen Aspekten ab:

  1. die Dauer der Ehe
  2. die Rollenverteilung während der Ehe
  3. die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung
  4. Die Familiengerichte müssen auch beachten, in welchem Umfange der unterhaltspflichtige Ehegatte den Aufstieg und das aktuell erzielte Einkommen im besonderen Maße auch der geschiedenen Ehefrau zu verdanken hat. Deutlicher gesagt: war die berufliche Karriere des Ehemannes auch deswegen erfolgreich, weil die Ehefrau ihm den Rücken während der intakten Ehe freigehalten hat?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einer vor wenigen Wochen veröffentlichten Entscheidung festgehalten, dass bei der Ehefrau ein so genannter „Nachteil aufgrund der Ehe“ dann entstanden ist, wenn sie berufliche Einschränkungen erlitten hat und die eigene Erwerbstätigkeit zurückgestellt hat. Es kommt also darauf an, inwieweit bei der Ehefrau das berufliche Vorankommen durch die konkrete Gestaltung der Haushaltsführung oder Erwerbstätigkeit während der Ehe und der Betreuung gemeinsamer Kinder geprägt ist (BGH Aktenzeichen XII ZR 309/11).

Vorliegend verfügte der geschiedene Ehemann nach 20 Ehejahren über Nettoeinkünfte in Höhe von 4600 €, die Frau erhielt nur eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 950 €, so dass die finanzielle Belastung für den Mann überschaubar war, der Ehegattenunterhalt für die geschiedene Frau jedoch existenziell. Auch unter diesem Aspekt hat der Mann weiterhin Unterhalt zu zahlen.

Neben der Betreuung der Kinder spielt zum Beispiel auch die Finanzierung einer Ausbildung des Unterhaltspflichtigen eine Rolle bei der Bemessung des Unterhalts nach der Ehe. Unterstützt also die Ehefrau ihren Mann während des Studiums, der dann aufgrund der besseren Ausbildung ein höheres Einkommen erzielt, ist diese Rollenverteilung bei der Unterhaltshöhe und Dauer zu beachten. Bei der Beurteilung einer dauerhaften Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien von Bedeutung, so dass abzuwägen ist, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist und in welchem Maße der Unterhaltspflichtige auch unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird.

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de. Weitere Infos:www.fachanwaelte-ol.de

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