von Rechtsanwalt Henning Gralle aus der NWZ 17.06.2014

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Abitur, Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten, berufliche Karriere einerseits, Ehe und Kinder andererseits. So war die Situation einer jungen Frau, die im Großraum Leer mit einem Arzt mehrere Jahre verheiratet war und 1997 geschieden wurde. Das Familiengericht in Leer hat 1997 der Ehefrau einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 575 Euro zugesprochen. Während des vergangenen Jahres hat der geschiedene Ehemann versucht, sich von der Unterhaltspflicht zu befreien und argumentiert, dass die Ehefrau keine Nachteile aus der Ehe habe und auch ohne die Betreuung der Kinder wirtschaftlich so viel verdienen würde wie jetzt. Der Ehemann ist in zwei Instanzen gescheitert.

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hat in einer aktuellen Entscheidung vom Dezember 2013, die jetzt veröffentlicht wurde, entschieden, dass die Frau ohne Eheschließung und damit verbundene Betreuung und Erziehung der gemeinsamen Kinder über ein Bruttoeinkommen in Höhe von 3300 Euro verfügen würde. Sie habe an einer Universität gearbeitet und ein Interesse an einer Lehrtätigkeit dokumentiert. Die Familienrichter in Oldenburg sind der Auffassung, bei einer Berufserfahrung von mindestens 17 Jahren würde die Frau nach dem Tarifvertrag für Medizinische Fachangestellte/Arzthelferinnen ab April 2014 zumindest 3317 Euro monatlich verdienen können. Abitur und Ausbildung hätten deutlich gemacht, dass die erforderlichen intellektuellen Anlagen vorhanden gewesen sein dürften.

Das Gericht in Oldenburg (Aktenzeichen 3 UF 148/13) hat festgestellt, dass angesichts der Geburt der drei Kinder eine Erwerbsverpflichtung bestünde, die Frau jedoch in ihrem erlernten Beruf viele Jahre nicht gearbeitet habe. Diese fehlende berufliche Tätigkeit aufgrund der Betreuung der ehelichen Kinder habe dazu geführt, dass die Frau höchstens in die 2. Stufe des Tarifvertrages für medizinische Fachangestellte einzustufen und ihr daher ein Gehalt in Höhe von etwa 1900 € brutto zuzurechnen sei. Der Nachteil aus der Ehe belaufe sich auf mindestens 1000 € und liege sogar über dem Unterhaltsanspruch.

Ebenso berücksichtigt das Gericht, das der frühere Ehemann durch die Unterhaltszahlung in Höhe von 575 Euro nicht außergewöhnlich belastet sei. Darüber hinaus habe der Ehemann seit der Unterhaltsreform Anfang 2008 bis Anfang 2012 vier Jahre Ehegattenunterhalt gezahlt. Er habe einen Vertrauenstatbestand geschaffen, auf den sich die geschiedene Ehefrau in ihrer Lebensführung eingestellt hat und auch einstellen durfte.

Interessant an der Entscheidung des OLG Oldenburg ist auch, dass der 1997 beim Ehemann angenommene Vorteil aus mietfreiem Wohnen im eigenen Haus in Höhe von 400 Euro um 50 % auf 600 € heraufgesetzt wurde mit dem Argument, in Ostfriesland sei von einer gewissen Preissteigerung über die allgemeine Inflation hinaus auszugehen. Woher das Gericht diese Erkenntnis nimmt, bleibt in der Entscheidung offen.

Autor: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht Henning Gralle – Fachanwaltskanzlei Seidelmann, Garms und Gralle, Alexanderstraße 111, Oldenburg. Tel. 0441/96 94 81 40 oder gralle@fachanwaelte-ol.de. Weitere Infos: www.fachanwaelte-ol.de

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